7. Juli 2025

Was Unternehmen jetzt über digitale Barrierefreiheit wissen sollten

Autorin
Victoria CreganProject Management

Seit dem 28. Juni 2025 ist Barrierefreiheit bei digitalen Produkten und Websites für viele Unternehmen in Europa verpflichtend. Grundlage dafür ist der European Accessibility Act (EAA). Für Unternehmen bedeutet das: Barrierefreiheit von Websites und Apps wird vom Nice-to-have zum Must-have – und das nicht nur aus Compliance-Gründen, sondern auch aus Verantwortung gegenüber den Nutzer:innen.

Was regelt der European Accessibility Act?

Mit der Richtlinie (EU) 2019/882 hat die Europäische Union den Rechtsrahmen geschaffen, um digitale und physische Produkte für Menschen mit Behinderungen zugänglicher zu machen. Ziel ist es, eine inklusive Gesellschaft zu fördern – und die digitale Teilhabe aller EU-Bürger:innen sicherzustellen.

Der EAA betrifft unter anderem:

  • Websites und mobile Anwendungen von Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Endkund:innen (B2C) anbieten,
  • Online-Shops und Buchungsportale,
  • digitale Dienstleistungen im Banken-, Verkehrs- oder E-Book-Sektor, sowie
  • Hardware wie Geldautomaten, Kartenlesegeräte oder Smartphones.

Die Umsetzung erfolgt national. In Deutschland ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) maßgeblich. Unternehmen, die digitale Dienstleistungen für Endkund:innen anbieten, müssen ab dem Stichtag die darin definierten Anforderungen erfüllen. Ausgenommen sind Mikrounternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden oder einem Jahresumsatz unter 2 Mio. Euro. Für B2C-Unternehmen geht es dabei nicht nur um technische Details, sondern um Prozesse, Rollen und die Verankerung eines neuen Selbstverständnisses in Teams.

Je nach gefordertem Standard (WCAG Level A bis AAA) zählen beispielsweise Alternativtexte für Bilder, eine vollständige Tastaturnavigation oder kontrastreiche Farbgestaltung für bessere Lesbarkeit dazu. Auch strukturierte Formulare, Untertitel für Videos und eine Screenreader-Komptabilität spielen eine zentrale Rolle.

Warum sich Barrierefreiheit wirklich lohnt

Barrierefreiheit ist weit mehr als ein gesetzliches Erfordernis – sie ist ein echtes Qualitätsmerkmal digitaler Angebote. Und sie betrifft deutlich mehr Menschen, als viele zunächst annehmen: In der EU leben über 135 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Wer Inhalte nicht sehen, hören oder mit einer Maus bedienen kann, ist auf zugängliche Interfaces angewiesen. Doch auch temporäre Einschränkungen – etwa ein gebrochener Arm, schlechtes Licht oder eine instabile Internetverbindung – zeigen, wie wertvoll durchdachte, inklusive Designs für alle Nutzer:innen sind.

Für Unternehmen bringt Barrierefreiheit gleich mehrere Vorteile mit sich: Sie steigert die Reichweite, da neue Zielgruppen besser erreicht werden. Gleichzeitig verbessert sich die User Experience – dank klarer Navigation, gut lesbarer Inhalte und intuitiver Bedienung. Auch aus SEO-Perspektive zahlt sich Barrierefreiheit aus: Alt-Texte, semantisches HTML und strukturierte Inhalte unterstützen die Auffindbarkeit in Suchmaschinen.

Und nicht zuletzt: Wer auf Inklusion setzt, stärkt das eigene Markenimage. Unternehmen, die Barrierefreiheit aktiv umsetzen, zeigen gesellschaftliche Verantwortung und digitale Reife.

Herausforderungen erkennen – und aktiv angehen

Natürlich bringt die Umsetzung auch Herausforderungen mit sich. Insbesondere ältere Systeme und gewachsene Webarchitekturen müssen nachgebessert werden. Barrierefreiheit erfordert Wissen, Ressourcen und manchmal auch kulturellen Wandel im Unternehmen.

Dennoch gilt: Unternehmen, die Barrierefreiheit strategisch angehen, profitieren langfristig – nicht nur durch die Vermeidung von Rechtsrisiken, sondern durch zufriedene Nutzer:innen, bessere Performance und eine klare Markenhaltung.

Was müssen Unternehmen jetzt tun?

  1. Relevanz prüfen: Zunächst sollte geklärt werden, ob das Unternehmen unter den Geltungsbereich des Gesetzes fällt. Auch internationale Unternehmen, die ihre Produkte in der EU vertreiben, sind betroffen.
  2. Status quo erheben: Bestehende Websites, Apps und digitale Services müssen auf ihre Barrierefreiheit hin überprüft werden. Grundlage dafür sind die Standards EN 301 549 und WCAG 2.1 bzw. 2.2 (Level AA). Automatisierte Tools helfen beim Einstieg, ersetzen aber keine umfassende manuelle Prüfung.
  3. Maßnahmen priorisieren: Nicht alle Anforderungen lassen sich sofort umsetzen. Deshalb ist es wichtig, Lücken zu identifizieren und nach Priorität abzuarbeiten. Die gute Nachricht: Inhalte, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden, genießen eine Übergangsfrist von fünf Jahren – spätestens bis 2030 müssen aber auch sie barrierefrei sein.
  4. Prozesse etablieren: Barrierefreiheit darf kein Einmalprojekt sein. Es braucht feste Verantwortlichkeiten, Guidelines für UX, UI und Redaktion, Schulungen für alle Beteiligten und regelmäßige Audits. Auch eine gut erreichbare Barrierefreiheits-Erklärung auf der Website wird Pflicht.

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Mit unserer Expertise in UX, UI und Frontend-Entwicklung unterstützen wir Unternehmen mit einem individuellen Accessibility-Audit von der Statusanalyse über die strategische Planung bis zur konkreten Umsetzung dabei, digitale Barrierefreiheit ganzheitlich zu denken und die gesetzlichen Anforderungen effizient und zukunftssicher umzusetzen. Sprechen Sie mich gerne an!

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